Newsletter 18. Dezember 2024 verfasst von Hartwig Thomas
Newsletter online: https://www.schellack-archiv.ch/repository/newsletter/24-NL0007Z.html
Laufend kommen neue digitalisierte Tonspuren von Schellackplatten in das Archiv der Schweizerischen Stiftung Public Domain. Diejenigen, die uns irgendwie interessant vorkommen, werden jeweils in unregelmässigen Abständen in unserem Newsletter vorgestellt.
Nachdem wir in den letzten zwei Newsletters vorwiegend klassische Musik aus der Schenkung von Michael Rhonheimer vostellten, kommen jetzt wieder einmal die Freunde der Unterhaltungsmusik auf ihre Rechnung. Wir sind auf mehrere Schachteln mit deutscher Unterhaltungsmusik gestossen.
Unsere Website (https://www.schellack-archiv.ch/) enthält nähere Erklärungen zum Stand unserer Arbeiten.
ENGLISH SUMMARY
This newsletter documents the progress in establishing an inventory of the archive of shellac records of the Swiss Foundation Public Domain. The records mentioned below can be accessed through the following playlists:
German Light Music before 1933
Whistling and Bird Imitation
Guido Gialdini
Gitta Alpár
German Light Music 1933 - 1945
Herbert Ernst Groh
Richard Tauber
German Light Music after 1945
Viennese Songs
Alice Babs
The Little Cornelia (Conny Froboess)
Amiga Records
Micellaneous
Hans Blädel
Caruso
Albums:
Traditional German Folk Songs sung by Richard Tauber
Donations are sorely needed to pay for the materials and the rent of the storage space.
Neuanfang mit dem Büro des Schellack-Archivs in Dürnten
Das Klangmaschinenmuseum in Dürnten hat uns spontan angeboten, das Büro der Leiterin Kultur und Ausstellungen für einen bezahlbaren Preis mitzubenutzen. Während die Fotokopier-Station im fensterlosen Arbeitsräumchen neben dem Plattenlager installiert bleibt, wird die eigentliche Digitalisierung und alles andere vom 1. Januar 2025 an im Klangmaschinenmuseum erfolgen.
Dank der Assoziation mit diesem Verein werden wir viele Synergien nutzen können.
Die Postadresse bleibt beim Joweid Zentrum 4, 8630 Rüti ZH, wo auch das Plattenlager ist.
Spenden und Unterstützung
Trotz der Entlastung auf der Ausgabenseite durch die Aufgabe des Büros ist die Schweizerische Stiftung Public Domain weiterhin dringend auf Spenden angewiesen, um die Lagermiete und das Archivmaterial (Plattenhüllen, Archivschachteln) zu bezahlen. Sämtliche Arbeit am Archiv wird ehrenamtlich geleistet. Bitte unterstützt diese Arbeit!
CD als Dank
Wer 100 Franken spendet, erhält auf Wunsch eine CD mit rund 20 selbstgewählten 20 Titeln.
Mitgliedschaft Förderverein
Wer wünscht, dass das Schellackplatten-Archiv auch längerfristig besteht, wird gebeten, dem Förderverein beizutreten.
- Mitglieder (100 CHF/Jahr),
- Gönner (250 CHF/Jahr) und
- Institutionen als Mitglieder (2000 CHF/Jahr)
Helfer gesucht
Wir danken allen, die ihr Bedauern über die Aufgabe des Büros geäussert haben. Man kann uns auch unterstützen, ohne etwas zu spenden. Wir suchen Helfer auf folgenden Gebieten:
- Bekanntheit des Schellack-Archivs steigern
- Treffen organisieren
- Präsenz auf Social Media aufbauen und pflegen
- Kontakte mit anderen Organisationen aufnehmen und pflegen
- Redaktion Newsletter
- Unsere Internet-Radio-Kanäle technisch betreuen
- Unsere Internet-Radio-Kanäle inhaltlich betreuen
- Fundraising
Es genügt, uns eine Anmeldung als Antwort auf diesen Newsletter zu senden.
Dank an 78rmp.club
Wir danken dem 78rpm Club, der uns prominent auf seiner Titelseite bekannt macht.
Deutsche Unterhaltungsmusik
Zu allen hier vorgestellten Schallplatten kann man auf dem Internet viel Information finden, die deshalb hier nicht wiederholt zu werden braucht. Wikipedia ist oft eine nützliche Quelle, besonders die deutsche Wikipedia hat aber oft eine politische Schlagseite, die sich bei deutscher Unterhaltungsmusik zwischen 1900 und 1960 bemerkbar macht, weil diese Periode die 12 nationalsozialistischen Jahre in Deutschland enthält. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man die Information aus anderen Quellen ergänzen. Dass etwa eine Interpretin wie Pola Negri im Film Mazurka von Hitler besonders geschätzt wurde, kann wohl nicht ohne Einschränkungen zu ihrem Nachteil ausgelegt werden, ebensowenig wie die Gnade der späten Geburt ein Beweis moralischer Überlegenheit ist.
In unserem Archiv interessieren wir uns deshalb nicht, wer in der Liste der gottbegnadeten Künstler von Joseph Goebbels aufgeführt ist. Wir halten die Werke (Musikstücke) und ihre Wirkung für wichtiger als die moralische Beurteilung ihrer Schöpfer. So fällt etwa auf, dass die deutsche Unterhaltungsmusik nach dem zweiten Weltkrieg von extremem Fernweh dominiert war: Haiti, Havanna, Hawaii, Italien, Milano, Cowboys, Seeleute werden zum Trägern der neuen Sehnsucht nach der grossen Freiheit.
Unser Archiv ist immer noch hauptsächlich damit beschäftigt, mittels schnellem Inventarisieren, Digitalisieren und Veröffentlichen einen groben Überblick über den Bestand zu gewinnen. Eine eingehende Recherche der exakten Aufnahmedaten ist in dieser Phase zu zeitaufwendig. Trotzdem haben wir die in diesem Newsletter vorgestellte Deutsche Unterhaltungsmusik grob in "früh" (bis 1933), "spät" (ab 1945) und "mittel" eingeteilt, weil sich die Inhalte vor 1933 doch sehr stark von denen nach 1945 unterscheiden. Da uns die genauen Aufnahmedaten fehlen, hat diese Einteilung nur groben Orientierungscharakter und kann im Einzelfall falsch sein.
Deutsche Unterhaltungsmusik vor 1933
Es fällt auf, dass die künstlerische Qualität der Unterhaltungsmusik vor 1933 ein äusserst breites Spektrum abdeckt. Einerseits findet man fast familiäre Kleintheater-Darbietungen, andererseits begegneten viele grosse Künstler und Interpreten dem neuen Medium noch mit starkem Misstrauen. (Man kennt diese Haltung auch heute von Schriftstellern, die nur mit dem Füllfederhalter schreiben oder von Malern, die das Internet meiden.) Auch schränkte die Technik der mechanischen Aufzeichnung von Musik vor dem Aufkommen der elektrischen Aufnahme ab 1925 die Möglichkeiten etwa der Wiedergabe symphonischer Musik stark ein.
Wie beim Film finden wir eine der Wurzeln der frühen Unterhaltungsmusik bei den Schaustellern der Kirchweih. So finden wir Aufnahmen von Kunstpfeifern und Vogelstimmenimitatoren wie etwa vom Guido Gialdini, der alle Melodien nach einmaligem Hören pfeifen konnte. Offenbar hielt es jemand für notwendig, diesen Künstler mit Hilfe der Staatsgewalt in Auschwitz zu ermorden. So bleiben uns nur seine Aufnahmen auf Schellackplatten.
Die Operettendiva Gitta Alpár entkam diesem Schicksal dank der Affäre ihres Mannes mit einer Geliebten von Joseph Goebbels, welche sie zur Scheidung und Ausreise ins sichere Ausland veranlasste. Auch ihre Sturheit und ihre ungarische Herkunft dürfte sie geschützt haben.
Ich kannte des Text "Warte, warte, nur ein Weilchen" bisher nur in der Verballhornung im Kontext mit dem Kindermörder Haarmann und dem von ihm inspirierten Film "M, eine Stadt sucht ihren Mörder", wo sich das Weilchen nicht auf Veilchen, sondern auf Hackebeilchen reimt.
Deutsche Unterhaltungsmusik 1933 - 1945
Hier ist zu erwähnen, dass mit "deutsch" die Sprache gemeint ist. Insofern findet man unter diesem Titel auch schweizerische und österreichische Unterhaltungsmusik. Generell ist die Liste der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik 1933 - 1945 allerdings relativ klein. Die eigentlich nationalsozialistische Produktion wurde wohl oft nicht privat aufbewahrt und fand den Weg in unser Archiv nicht.
Der Schweizer Tenor Herbert Ernst Groh war von nationalsozialistischen Ideen angezogen und trat darum oft zwischen 1933 und 1945 in Deutschland auf. Zu dieser Zeit experimentierte die Tontechnik mit den durch die elektrische Aufnahme und Wiedergabe neu zugänglichen Möglichkeiten. So finden wir etwa eine Platte, wo Groh "mit sich selbst selbst Duett" singt.
Der von den Nazis ungeliebte Gegenpart von Groh war der enorm populäre Österreicher Richard Tauber. Seine Arien "Dein ist mein ganzes Herz" und "Immer nur Lächeln" aus der Operette "Das Land des Lächelns" von Franz Lehár machten ihn weltberühmt und wurden sogar mit englischen Plattenlabels publiziert, obwohl er auf der Platte deutsch sang.
Von ihm haben wir auch ein Album mit deutschen Volksliedern. Der Begriff "Volkslied" wurde in der Romantik aus eine nationalistisch angehauchten Schwärmerei erfunden und war dann im Nationalsozialismus wieder sehr beliebt. Er stand für Kreation direkt aus der Volksseele ohne namentlich bekannte Urheber. Selbstverständlich gab es keine "Volkslieder" in diesem Sinne ebensowenig wie "Volksmärchen". Vielmehr handelt es sich einfach um weitverbreitetes, durch Wiederholung oft abgeschliffenes Kulturgut früherer Epochen. So findet man die Urversionen der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm zum Teil im "Cabinet des fées", dessen 41 Bände im 18. Jahrhundert erschienen waren. Schon im letzten Newsletter erwähnten wir, dass die Autorin des Textes von "Ach, wie ist’s möglich dann" von der Gräfin Helmina de Chézy stammt.
Deutsche Unterhaltungsmusik nach 1945
Die Liste der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik nach 1945 ist sehr lang, denn man hatte in verschiedenen Bereichen Nachholbedarf: So zuerst beim Jazz. Darum hat sich wohl auch die Platte mit zwei Interpretationen von "Star Dust" von Benny Goodman und Tommy Dorsey in diese Sammlung verirrt, obwohl sie nicht als "deutsche" Unterhaltungsmusik gelten kann. Ausserdem konnte man endlich dem Fernweh Ausdruck geben, nachdem zwölf Jahre lag nur Heimatduselei und Heimweh gefragt war. Sodann konnte man wieder auf österreichischer Eigenständigkeit von Wien mit vielen Wiener Liedern bestehen.
Schliesslich musste man auf Kinderstars wie Alice Babs oder die kleine Cornelia - heute eher bekannt als die Conny Froboess, die wenig später den Schlager mit der Badehose und dem Wannsee sang - ausweichen, die in keiner Weise politisch kompromittiert waren. (Alice Babs experimentierte mit einer "Echo-Chamber" in ihrem Echo-Song.) Auch andere ausländische Interpreten wie Rudolf Carell kamen zum Zug. Ein ausländischer Akzent wurde zum Asset.
Und die junge DDR fand mit ihrem Amiga-Label ihren eigenen Weg zur Unterhaltungsmusik.
Sprech- und Lachplatten und Verschiedenes
Besonders in der Frühzeit der Schallplatte wurde Lustiges in verschiedenen Dialekten veröffentlicht. Lachplatten wie diejenige von Lucie Bernardo und kurze Sketches wie diejenigen von Hans Blädel waren anscheinend beliebt.
Einige ganz alte 10"-Platten von Caruso passen nicht ganz in diese Zusammenstellung, fanden sich aber ebenfalls in diesen Schachteln.
Wir wünschen allen Lesern des Newsletters frohe Festtage!
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